Cannabis und Psychosen – wie groß ist das Problem?

Dass Cannabis Psychosen auslöst scheint lange bekannt. Richtigen Drive bekam das Thema wieder mit der Legalisierungsdebatte. Während die vorigen Drogenbeauftragen sich auf „illegal, weil verboten“, „Cannabis ist kein Brokkoli“ oder Jens Spahn auf „Jesus hat Wasser zu Wein gemacht und nicht Gras zum Schwarzen Afghanen“ ausgeruht haben, mussten zur aktuellen Legalisierungsdebatte wieder ernsthafte Argumente auf den Tisch. Darunter auch die viel beschworene Psychose. Warum Non-Argumente keine Debattiergrundlage sind und recht einfach einer nüchternen Faktenlage weichen müssen

Zu den Fakten – schlimme Zahlen auf dünner Grundlage

Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der tägliche Konsum von hochpotentem Marihuana das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, im Vergleich zu Personen, die noch nie Marihuana konsumiert haben, um fast das Fünffache erhöhen könnte. Es hat sich gezeigt, dass die Menge der konsumierten Droge, das Alter beim ersten Konsum und die genetische Anfälligkeit diesen Zusammenhang beeinflussen. Die bislang stärksten Belege betreffen Zusammenhänge zwischen Marihuanakonsum und psychiatrischen Störungen bei Personen mit einer bereits bestehenden genetischen oder sonstigen Anfälligkeit. Cannabis ist hier ein Trigger vorheriger Inzidenzen, deren Summe zur Psychose führt. Die Studien haben z.B. nicht überprüft ob psychoseanfällige Menschen eher zu Cannabis greifen, als neurotypische Menschen.

Auch Studien, die dazu genutzt werden um den Link zwischen Cannabis und Psychosen herzustellen, können nicht aussagen ob nicht eine bessere allgemeine Aufklärung über die eigene Verfassung (Set) in Bezug auf den Cannabisgebrauch angebracht gewesen wäre um diesen als Psychose-Trigger zu vermeiden. Cannabisaufklärung findet vor allem für junge Menschen nur sehr unzureichend professionell angeleitet in Präventionsprogrammen statt. Politikerinnen und Politiker, die obige Zitate (Memes) geprägt haben sind neben Deutschrap dann der große Aufklärer in Sachen Cannabis in Deutschland.

Was wäre wenn? 63 680 589 Menschen mit legalem Zugang zu Cannabis in einer Studie

Besonders ausgeprägt soll der Gefahr der Psychose in Bezug auf Cannabis sein, wenn man in jungen Jahren mit dem Konsum beginnt. Gegner der Legalisierung zeichnen ein übles Bild mit vollen Psychiatrien, einer durchdrehenden Jugend durch den sorglosen Umgang mit dem gefährlichen Cannabis. Eine neue Studie aus den USA beschäftigt sich mit genau diesem Fall. In dieser Dystopie, die in Teilen der USA bereits Realität sei, hat man 63 680 589 Versicherte als Datensatz genommen und folgende Frage gestellt:

Ist die Legalisierung oder Kommerzialisierung von Cannabis in den Bundesstaaten mit einem Anstieg der psychosebedingten Gesundheitsleistungen verbunden?

Antwort: Nein. In dieser Kohortenstudie mit Daten von 63 680 589 Leistungsempfängern aus den Jahren 2003 bis 2017 gab es keinen statistisch signifikanten Unterschied in den Raten psychosebezogener Diagnosen oder verschriebener Antipsychotika in Staaten mit medizinischer oder rekreativer Cannabispolitik im Vergleich zu Staaten ohne eine solche Politik. Es kann sich also nicht um ein pauschales Massenphänomen handeln. Wo liegt hier also das Problem?

Konsumkompetenz bei Cannabis und co.

Nehmen wir einen Stoff, den viele von uns in ihren Alltag bereits eingeflochten haben: Kaffee.

Kaffee enthält Koffein. Es bietet sich an Koffein vor physischen und mentalen Leistungssituationen zu konsumieren. Deswegen nehmen wir ihn meistens morgen in Form bitterer Suppe zu uns, die durch den Aufguss kochend-heißen Wassers über den gemalenen Kaffeebohnen produziert wird. Durch soziale Aufklärung ist uns hier z.B. bewusst, dass ein Capucchino ein anderes Wirkmuster hat als die gleiche Menge Espresso. Uns sind auch die Risiken und Grenzen der Substanz bekannt und wie nehmen sie seltener als Extrakt (Pulver), direkt als Bohne oder vor dem Schlafengehen. Einigen ist sogar vielleicht im Detail die medizinische Wirkung von Koffein bekannt: Im Körper steht das Coffein-Molekül kompetitiv dem Adenosin gegenüber. Bei körperlicher oder geistiger Anstrengung setzt der Körper Adenosin frei und die Rezeptoren geben einer Zelle das Signal weniger zu arbeiten. Koffein hemmt diesen Mechanismus, in dem sich an die Stelle des Adenosins setzt aber das Signal nicht aktiviert. Die Zelle arbeitet weiter, trotz Adenosinausschüttung, wir sind als Resultat bei einer höheren Leistungsbereitschaft, als unser Körper es uns in dem Moment signalisiert.

Da uns dieser Umstand bewusst ist, können wir viel risikoärmer Koffein konsumieren. Auch ist uns der Wirkstoffgehalt bekannt oder im Falle von Supermarktware oft auf dem entsprechenden Produkt abgedruckt. Wir können also eine bewusste Konsumentscheidung treffen.

Diese Kompetenz fehlt fast immer bei Cannabis. Eine bewusste Entscheidung kann hier bei illegaler Ware nur selten getroffen werden. Auch die Wirkweise von Cannabis im Körper ist viel weniger Menschen im Moment des Konsums bewusst als bei Kaffee, Zigaretten oder Alkohol. Aber stell dir gern selber die Frage wie Nikotin oder Ethanol im Körper wirkt und ob du es wirklich weißt, oder du den Effekt nur gewöhnt bist. Aufklärung würde hier helfen – bei allen Substanzen.

Der Psychose-Trigger und Daten von Versicherungen

Egal wie man argumentieren will: Versicherungen sind eine gute Instanz um einen Überblick vom Impact einer Problemstellung zu bekommen. Bei den 63 Millionen Versicherten hat man zumindest keine messbare Mehrbelastung der Versicherungen in Bezug auf Verschreibungen von Psychosemedikamenten im Zuge einer Cannabislegalisierung gefunden. Das liegt wohl auch daran, weil die Korrelation zwischen Cannabis auf absolute Zahlen wenig Impact hat. In Deutschland besteht eine Psychoseprävalenz bei einem beliebigen Bürger zu 1-2%. Wie sprechen von 1,5 Menschen von 100. Bei Cannabiskonsumenten steigt diese Quote um 41%. Wir sprechen nun von 2,11 Menschen von 100. Es ist kein Wunder, dass dieser Wert von außen Kaum messbar ist und man diesen nur unter Berücksichtigung relativer Größen in einen alarmistischen Bezug setzen kann (z.B. 41% Steigerung). Bedingte Wahrscheinlichkeiten sind zwar ein Thema im Studium der Psychologie, finden aber dann weit weniger Anwendung, wenn man sich in populistischer Art und Weise in Talk-Show geriert und die Strafverfolgung und Stigmatisierung von 4,5 Millionen Menschen damit rechtfertigt. In gleicher Weise kann man auch mit häufigem Wechsel der Lebensmitte im jungen Alter oder Stress argumentieren. Beides jeweils (noch?) nicht strafbewehrt.

Auch bei Autoversicherern findet man eher einen positiven Bezug zur Cannabislegalisierung: So fand eine Studie aus dem Jahr 2022, dass in legalisierten Bundesstaaten die Zahlungen für die KFZ-Versicherungen zwischen den Jahren 2014 und 2019 durchschnittlich um 22$ im Jahr gesunken ist. Es wird geschätzt, dass die bestehende Legalisierung die Gesundheitsausgaben im Zusammenhang mit Autounfällen um fast 820 Millionen Dollar pro Jahr reduziert hat, mit dem Potenzial für eine weitere Reduzierung um 350 Millionen Dollar, wenn die Legalisierung auf nationaler Ebene in den USA erfolgt. Ebenfalls werden vor allem Krankenversicherungen selbst entlastet: Die Legalisierung von Cannabis in den US-Bundesstaaten führt wahrscheinlich zu einem Anstieg des Gebrauchs von Cannabis als Alternative zu konventionellen Pharmazeutika. Eine Untersuchung zeigte, dass sich die Börsenrenditen für gelistete generische und Marken-Pharmaunternehmen zwischen 1996 und 2019 aufgrund der Legalisierung von Cannabis um 1,5-2% innerhalb von 10 Tagen nach der Legalisierung verringerten. Dies galt sowohl für die Legalisierung zu medizinischen als auch zu Freizeitzwecken und für beide Arten von Pharmaunternehmen. Investoren erwarten, dass eine einzige Legalisierung die jährlichen Umsätze eines Pharmaunternehmens im Durchschnitt um 3 Milliarden US-Dollar reduzieren wird.

Was man benötigt ist Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung. Cannabis geht nicht weg, nur weil man keine Lust hat sich damit zu beschäftigen. Junge Erwachsene unter 25 hatten 2021 in Deutschland zu über 50% schonmal Cannabis im Blut. Das ist jeder zweite im Vorlesungssaal, jeder zweite in der Erzieherausbildung, jeder zweite zukünftige Anwalt, Pfleger, Lehrer, Politiker, Verkäufer, Taxi-Fahrer, jede zweite Moderatorin, Ärztin, Busfahrerin, Rapperin oder jedes zweite Model. Zeit die Regeln zu ändern und Cannabis ins Licht zu holen.

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