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{"id":348,"date":"2023-02-16T16:40:14","date_gmt":"2023-02-16T15:40:14","guid":{"rendered":"http:\/\/homegrowpro.de\/?p=348"},"modified":"2023-02-16T17:30:07","modified_gmt":"2023-02-16T16:30:07","slug":"einstiegsdroge-cannabis-neue-studie-erhaertet-deutliche-zweifel-an-der-hypothese","status":"publish","type":"post","link":"http:\/\/homegrowpro.de\/2023\/02\/16\/einstiegsdroge-cannabis-neue-studie-erhaertet-deutliche-zweifel-an-der-hypothese\/","title":{"rendered":"Einstiegsdroge Cannabis? Neue Studie erh\u00e4rtet deutliche Zweifel an der Hypothese"},"content":{"rendered":"

In Talkshows wird das Argument von vielen Gegnern einer liberalen Substanzpolitik immer wieder aufgegriffen: Cannabis sei eine Einstiegsdroge. Gemeint ist der vermeidliche Einstieg in eine Drogenkarriere hin zu st\u00e4rkeren, gef\u00e4hrlicheren Substanzen<\/em>. Selbst SPD-Gesundheitsminister Lauterbach hat in einer Talkshow im ARD am 23.01.2023 <\/a>den Terminus in Bezug auf Cannabis genutzt. Wohlbemerkt, w\u00e4hrend er sein Ministerium in der Zeit den Referentenentwurf hat zur deutschen Cannabislegalisierung ausgearbeitet hat.<\/p>

Schon in den 90ern hat sich das deutsche Gesundheitsministerium, damals unter der Leitung von Horst Seehofer (CSU), auf diese Hypothese gest\u00fctzt und wollte sie wohl mit Hilfe von Prof. Dr. Dieter Kleiber (Freie Universit\u00e4t Berlin) untermauern. Die Studie „Determinanten unterschiedlicher Konsummuster von Cannabis<\/a>“ wurde in Auftrag gegeben. Finanziert durch Seehofers Ministerium mit immerhin 910.000 Mark.<\/p>

So sticht folgendes Ergebnis klar und deutlich als Widerspruch zur Einstiegsdrogenhypothese heraus:<\/p>

Die Analysen ehemaliger Cannabiskonsumenten konnten zeigen, dass ein ‚Ausstieg‘ aus dem Cannabiskonsum unabh\u00e4ngig von der Dauer des Konsums zu jeder Zeit erfolgen kann. Der \u00dcbergang zu partner- bzw. familienorientierten Lebensstilen erh\u00f6ht nach der hier vorliegenden Datenlage die Wahrscheinlichkeit zur Einstellung des Cannabiskonsums. Mit dem Einstellen des Cannabiskonsums nimmt auch die Wahrscheinlichkeit, andere illegale Drogen zu konsumieren, deutlich ab.<\/p>„Determinanten unterschiedlicher Konsummuster von Cannabis“, D. Kleiber<\/cite><\/blockquote>

Kurzgesagt: Bei einem zu erwartenden Lebenswandel hin zur Familiengr\u00fcndung in den 20ern nimmt die Priorit\u00e4t des Cannabiskonsums ab. Laut Einstiegsdrogenhypothese erwartet man hingegen eher den Wandel hin zu „gef\u00e4hrlicheren“ Substanzen. Oft wird das mit dem Narrativ begr\u00fcndet, dass der Rausch durch die „Droge“ Cannabis nicht mehr ausreicht und man zu riskanteren Mitteln greifen muss.
Alleine die Tatsache, dass es in Deutschland stets um die 4-5 Millionen Cannabiskonsumenten gibt, die zu einem gro\u00dfen Teil nicht dem Weg der Christiane F. folgen sollte ein Hinweis darauf sein, dass es sich hier um populistische Fake-News handelt. Das wird allein schon dadurch deutlich, dass der Begriff ohne jegliches Backup aus der Wissenschaft etabliert wurde. Die These wird auch gerne umgekehrt formuliert, damit sie plausibler klingt: So argumentiert man mit der Substanzgeschichte derjenigen, die es an den Rand der Gesellschaft getrieben hat und nun „an der Nadel h\u00e4ngen“. <\/p>

Wer Heroin nimmt, hat vorher Cannabis konsumiert<\/h2>

Das mag in vielen F\u00e4llen stimmen. Allerdings l\u00e4sst sich Cannabis auch durch Alkohol, Brot, Nikotin, Muttermilch oder Kokain ersetzen. Sehen tun Vertreter der Theorie hierbei stets nur illegalisierte Substanzen. Wer mit einer jener Substanzen anfinge, probiere auch weitere – damit sei der Weg geebnet.
Was wir in Deutschland und in der ganzen Welt aber sehen ist, dass die absolute Mehrheit der Cannabisnutzer diesen Weg nicht gehen. Gleiches gilt f\u00fcr einen Gro\u00dfteil der Alkoholnutzer, Kaffee-Enthusiasten, Weinliebhaber oder Kettenraucher.<\/p>

Wissenschaftliche Arbeit zur Gateway-Drug Hypothese in den 2020ern<\/h2>

Obwohl die es wissenschaftlich unumstritten ist, dass die Einstiegsdrogenhypothese sich nicht erh\u00e4rtet hat, ist sie in der Bev\u00f6lkerung nach wie vor stark verankert. Die Universit\u00e4t Cambridge hat im Januar 2023 dazu eine aktuelle Studie<\/a> ver\u00f6ffentlicht. Es galt herauszufinden, wie sich die Legalisierung von Freizeit-Cannabis auf den Konsum selbst, Substanzkonsumst\u00f6rungen und psychosoziale St\u00f6rungen auswirkt. Und: Ob gef\u00e4hrdete Personen anf\u00e4lliger f\u00fcr die Auswirkungen einer Cannabislegalisierung sind als andere.<\/p>

Studiendesign<\/h3>

Ausgew\u00e4hlt wurden 4043 Zwillinge, die erstmals in ihrer Jugend untersucht wurden und zum Zeitpunkt der Studie in Staaten mit unterschiedlichen Cannabisregulierungen lebten. 40% der Teilnehmer residierten demnach in einem Bundesstaat, in dem Cannabis f\u00fcr den Freizeitgebrauch legal ist.
Im Detail war den Wissenschaftlern wichtig herauszufinden, ob die Legalisierung mit dem Alter, Geschlecht und der externalisieren Psychopathologie interagiert.<\/p>

Das Ergebnis<\/h3>

Im Kontrolldesign f\u00fcr Zwillinge, bei dem die fr\u00fchere Cannabiskonsumh\u00e4ufigkeit bzw. die Symptome der Alkoholabh\u00e4ngigkeit (AUD = Substanzgesbrauchsst\u00f6rung bzgl. Alkohol) ber\u00fccksichtigt wurden, konsumierten die Zwillinge, die in einem Staat lebten, in dem Cannabis f\u00fcr den Freizeitgebrauch legal ist, im Durchschnitt h\u00e4ufiger Cannabis und hatten weniger AUD-Symptome als ihre Zwillinge, die in einem Nicht-Freizeitstaat lebten. Die Legalisierung von Cannabis war in der Zwillingsstudie mit keinem anderen nachteiligen Ergebnis verbunden, auch nicht mit einer Cannabiskonsumst\u00f6rung. Keiner der Risikofaktoren interagierte signifikant mit dem Legalisierungsstatus. Die Legalisierung des Freizeitkonsums wurde also mit einem erh\u00f6hten Cannabiskonsum und einem R\u00fcckgang der AUD-Symptome in Verbindung gebracht, jedoch nicht mit anderen Fehlanpassungen<\/strong>. Diese Effekte blieben auch bei Zwillingspaaren erhalten, die hinsichtlich des Wohnortes nicht \u00fcbereinstimmten. Dar\u00fcber hinaus wurde die Anf\u00e4lligkeit f\u00fcr den Cannabiskonsum durch das legale Cannabisumfeld nicht verschlimmert. K\u00fcnftige Forschungsarbeiten k\u00f6nnten kausale Zusammenh\u00e4nge zwischen Cannabiskonsum und Behandlungsergebnissen<\/strong> untersuchen.<\/p>

\"\"
Balkendiagramm, das die Effektst\u00e4rken der Freizeit-Legalisierung darstellt, wie sie aus den Einzel- und MZ-DZ kombinierten Zwillinganalysen generiert wurden. Positive Betas zeigen erh\u00f6hte mittlere Werte in Freizeitstaaten an, negative Betas zeigen verringerte mittlere Werte in Freizeitstaaten an. Bemerkenswerte Effekte sind eine h\u00f6here H\u00e4ufigkeit des Cannabiskonsums innerhalb von Zwillingspaaren f\u00fcr den Zwilling, der in einem Freizeitstaat lebt, sowie verringerte AUD-Symptome innerhalb von Zwillingspaaren f\u00fcr die Person, die in einem Freizeitstaat lebt. Quelle<\/a><\/figcaption><\/figure>

Auch im Jahr 2023 gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Einstiegsdrogenhypothese erh\u00e4rten. Weder bei Cannabis, noch bei Alkohol oder Tabak. Ebenfalls konnte keine Beziehung zwischen der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel und der Auspr\u00e4gung von Psychosen nachgewiesen werden, obwohl Cannabiskonsum wohl mit psychotischen Symptomen korrelieren<\/a> kann bzw. die Veranlagung dazu <\/a>den Konsum entsprechend riskanter macht. Im Gro\u00dfen und Ganzen deuten die Ergebnisse zur Kontrolle bei Zwillingen und zur differentiellen Anf\u00e4lligkeit darauf hin, dass die Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis f\u00fcr den Freizeitgebrauch keine signifikanten psychiatrische und psychosozialen Folgen hat. Was allerdings nicht au\u00dfer acht gelassen werden kann ist auch folgendes Statement der Wissenschaftler:<\/p>

Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Cannabiskonsum risikolos ist, sondern nur, dass wir keine bedeutsamen Ver\u00e4nderungen bei diesen negativen Ergebnissen als Folge der Legalisierung feststellen k\u00f6nnen. K\u00fcnftige Forschungsarbeiten k\u00f6nnen auf zus\u00e4tzliche Ergebnisse, alternative Risikofaktoren oder Moderatoren und vielf\u00e4ltigere demografische Gruppen ausgedehnt werden, um ein umfassendes Verst\u00e4ndnis der Folgen und Vorteile der Cannabislegalisierung zu gew\u00e4hrleisten.<\/p>Zellers, S., Ross, J., Saunders, G., Ellingson, J., Walvig, T., Anderson, J., . . . Vrieze, S. (2023). Recreational cannabis legalization has had limited effects on a wide range of adult psychiatric and psychosocial outcomes. Psychological Medicine,<\/em> 1-10. doi:10.1017\/S0033291722003762<\/cite><\/blockquote>

Und so kommen wir einer differenzierten Betrachtung des Risikos von Cannabiskonsum n\u00e4her – auch ohne polemische Kampfbegriffe wie „Einstiegsdroge“. Zum Schluss noch ein Satz von Prof. Kleiber, der nicht, wie ich, aus der Sicht eines Konsumenten argumentiert:<\/p>

Eine behutsame politische Ma\u00dfnahme, die einer differenzierten Risikoabsch\u00e4tzung des Cannabiskonsums Rechnung tr\u00e4gt, k\u00f6nnte darin bestehen, Erwerb und Besitz kleiner Mengen von Cannabis zuk\u00fcnftig nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen.<\/p>Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.) (1993).Jahrbuch Sucht 1994 (S.143-159). Geesthacht: Neuland Ver\u00adlagsgesellschaft, 2.2.3 Cannabis – Konsummuster und Gef\u00e4hrdungspotential . H. Peter Tossmann, Renate Soellner, Dieter Kleiber<\/cite><\/blockquote>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

In Talkshows wird das Argument von vielen Gegnern einer liberalen Substanzpolitik immer wieder aufgegriffen: Cannabis sei eine Einstiegsdroge. Gemeint ist der vermeidliche Einstieg in eine Drogenkarriere hin zu st\u00e4rkeren, gef\u00e4hrlicheren Substanzen. Selbst SPD-Gesundheitsminister Lauterbach hat in einer Talkshow im ARD am 23.01.2023 den Terminus in Bezug auf Cannabis genutzt. Wohlbemerkt, w\u00e4hrend er sein Ministerium in … Weiterlesen<\/a><\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":256,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1,8],"tags":[],"class_list":["post-348","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-allgemein","category-news"],"_links":{"self":[{"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/348","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=348"}],"version-history":[{"count":7,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/348\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":373,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/348\/revisions\/373"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/256"}],"wp:attachment":[{"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=348"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=348"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"http:\/\/homegrowpro.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=348"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}